Mit Jannis unterwegs

1989

Unsere Freunde erklären uns für bescheuert. Mit einem so blassen, noch nicht einmal ein Jahr alten Kind mit dem Auto nach Griechenland?

Wir kaufen also Sonnenschutzmittel mit dem für 1989 extrem hohen Faktor 30 und fahren los. Jannis sitzt in seiner Schale – besser liegt – und bis zum Gardasee ist Ruhe. Selbst beim Tanken unterwegs rührt er sich nicht. Wir lieben ihn immer mehr.

Wir haben unsere Freundin Christiane mitgenommen, die das ganze genau so entspannt angeht wie der Weiße. Die zwei Tage auf dem Campingplatz sollen zur Eingewöhnung sein, doch sie sind kaum nötig. Wir legen Jannis auf den Rasen am Waschhaus ab und er schläft. Wir fahren weiter bis Ancona und stehen dann länger auf dem großen Parkplatz im Fährhafen und er schläft!

Auf dem Schiff aber wird er munter. Er krabbelt unter den Tischen in dem Restaurant wie ein Weltmeister, erkundet die Welt und wird von uns völlig verstaubt und verdreckt eingefangen. Gut, dass wir tief im Bauch eine kleine Kabine haben, deren Dusche er schreiend öfters „genießt".

Er wird bald zum Liebling der Kapelle (ältere Männer in schwarzen Hosen und weißen Hemden) und auf dem Schiff zwischen Italien und Griechenland ein Jahr alt. Sie spielen ihm ein Ständchen, die Mundharmonika, die er bekommt, findet großes Interesse, aber seine musikalischen Fähigkeiten halten sich noch in Grenzen.

Von Patras aus fahren wir nach Piräus und finden in einer Nebenstraße am Hafen oben unterm Dach ein Zimmer. Es ist Ende Juli, doch das Zimmer sieht aus, als sei es in diesem Jahr noch nicht geputzt worden. Jannis ist am Abend und am Morgen genauso oft in der Dusche wie auf dem Schiff. Gegen sechs Uhr in der Früh legt die Fähre ab Richtung Paros. Jannis findet Schiffsreisen so genial, dass wir ihn „anleinen“ müssen, so schnell krabbelt er weg.

In Parikia scheint die Sonne. Heidi und Takis haben uns ein kleines Haus besorgt oberhalb der Stadt. Wir finden es problemlos. Sie wohnen in dem anderen Haus auf dem Grundstück. Das Leben ist einfach und schön. Jannis lebt von Joghurt und Marmelade und von Obst vom Markt oder aus den Läden. Wir leben von Ouzo und Retsina und Wasser und Brot und vom Kochen in der heißen Küche.

Takis und Heidi zeigen uns einen einsamen, aber windigen Traumstrand an der Ostküste und Jannis kreischt sein drittwichtigstes Wort nach Mammaa und Pappaa: Meeeeer.

Parikia hat enge verwinkelte Gassen. Wir sind schnell zu Fuß mit Jannis in der Karre in der kleinen Stadt. Er verschläft viel Zeit im Schatten, so dass wir bummeln und „shoppen“ gehen können. An der Ecke in der Nähe des Hafens gibt es die Wäscherei.  Wir sind so clever, kurz vor Ende unseres Parostrips dort Jannis’ Sachen waschen zu lassen. Von den Kosten hätten wir mehrere Male essen gehen können. Das machen wir dann einmal zu zweit auch in einem der teuersten Restaurants unter Laternen und auf Kiesboden. Aber das kleine einfache Restaurant in der Nähe unseres Hauses gefällt uns besser. Am nächsten Tag muss Takis uns unbedingt das Schmetterlingstal zeigen, was Jannis nicht so toll findet. Die aufsteigenden Schwärme machen ihm Angst.

Schön sind morgendliche Blicke von oben auf den Hafen, wenn die Fähren kommen, aber auch abends ist es sehr romantisch. Paros ist schön.

Nach einer Woche nehmen wir morgens die Fähre nach Piräus. Es geht mitten durch Athen hindurch auf die Autobahn Richtung Euböa. Wir fahren vier Stunden lang und erstmal nach Chronia, aber zwei freie Zimmer in einem Haus finden wir nicht. Auch in Limni sind wir etwas ratlos. Zum Glück wissen Ursula und Apostolos, dass gerade  eine größere Wohnung frei ist, weil die Besitzer einen Monat lang verreist sind. Wir bekommen sie und Apostolos lotst unseren Passat Variant über einen engen steilen Weg zum Haus hoch. An einer Straßenecke müssen einige kräftige Hände den Wagen umsetzen. Ich bin froh, als ich nach dem Ausladen des Gepäcks den Wagen wieder heil zurück an die breite Straße nach unten gebracht habe. Von da an machen wir die Wege zur Wohnung hoch lieber zu Fuß.

Am nächsten Tag kommt Ulli mit dem Bus aus Athen. Christiane freut sich sehr. Jannis auch. Endlich ein neuer Kumpel zum Spielen. Zum Baden fahren wir an unseren alten Platz hinter Chronia. Für Jannis liegt immer eine Decke parat, denn der Kieselstrand gefällt ihm nicht so. Sand mag er viel lieber.

Die Tage vergehen wie im Fluge. Abends schieben wir Jannis Volta an der Promenade in Limni. Das Essen im Platanos ist so gut wie jedes Jahr. Wir erregen mit dem blonden schneeweißen Kind viel Aufsehen.

Nach einer Woche machen wir uns auf zur Chalkidiki und finden in Nikiti im alten Dorf im Haus Marula bei Horst Sonne Unterkunft. Zwei Tage später kommen Heike und Holger mit dem Motorrad an. Sie sind über Kroatien gefahren, wo sie vorher ihre Freunde besucht haben. Das alte Steinhaus ist sehr schön, aber auch voller Mücken. Über die vielen Zweiliter-Flaschen im Klo im Erdgeschoss wundern wir uns, aber nur einen Tag lang. Dann ist das Wasser abgestellt im oberen Dorf. Da verstehen wir es und holen genug Wasser von der Wasserstelle am kleinen Platz.

Wir gehen essen in der alten Taverne oben im Dorf oder bei Tassos an der Straße Richtung Metamorfosis. Zum Baden fahren wir nach Kalogrias, aber meist nach Vourvourou, wo Jannis sein Leben genießt. Holger bringt ihm das Wasserspucken bei. Er lernt das andere Wort „mehr“, mehr, mehr kennen. Im Haus Marula krabbelt er und richtet sich dann auf und beginnt zu laufen und zu stolpern in den großen Schuhen der Erwachsenen. Er erkundet die Welt.

Nach drei Wochen machen wir uns auf die Rückfahrt über den Autoput durch das schon krisengeschüttelte Jugoslawien. Beim Geldumtausch an der Grenze bei Evzoni bekomme ich große Geldscheinbündel. Die Inflation setzt ein. Für die Übernachtung in dem verdreckten Hochhaushotel in Novisad bezahle ich drei Millionen Dinare. Da bin ich über die Hälfte des Geldes los. Auch der Benzinpreis steigt an, je weiter nach Norden kommen. Was sind wir froh, als wir bei Spielfeld die Österreichische Grenze überqueren. Uns wird nicht klar, dass das unsere letzte Autofahrt nach Griechenland gewesen sein soll.