Von Edipsos nach Limni

1981

August 1981. Mit der 4-Uhr-Glifa-Fähre sind wir in Agiokambos angekommen. Es ist später Nachmittag. Am Anleger trinken wir einen Frappé. Nun die lange Reise oben um Euböa herum über Pefki, Artemisio, Psaropouli und Agia Anna dann über den Berg nach Limni hinunter wie in den vergangenen Jahren. Das ist so umständlich und dauert wieder! Wir überlegen, ob es nicht doch einen kürzeren Weg gibt über Loutra Edipsos und dann an der steilen Südwestküste entlang. Wir fahren nach Loutra. Kein Schild, das Limni anzeigt. Nach langem Suchen und Fragen finden wir die Thermen. Am Ende führt ein Schotterweg den Berg hoch. Das kann es nicht sein.

„Lass uns zurück fahren zum Hafen!“ Es gibt keinen Hafen. Nur eine Promenade und einige Straßencafes. Alles sehr modern, irgendwie nicht unser Griechenland.

Im ersten versuchen wir es mit Englisch. Keiner kann es. Keiner versteht uns. Road to Limni???

Handflächen nach oben, sogar Achselzucken. „Komm, wir nehmen die Teerstraße!“

Ein Polizist nähert sich auf einem Fahrrad. Das erste Rad in diesem Jahr, und kein Junge drauf. „Road to Limni? Yes, yes! There up the hill!” Er weist in die Richtung, aus der wir grad gekommen sind. Er unterhält sich mit Griechen im Cafe. Wir hören nur „Pefki, Gouves“ und geben schon auf. Der Polizist lächelt. „Then milate ellinika? Sorry!“ Er fährt einfach weg. “Lass uns noch einen Frappé trinken, dann fahren wir eben die lange Strecke.”

Ein Mann Mitte 40, rundlich, klein, Dreitagebart, wenig Haare auf dem Schädel, erhebt sich von einem der hinteren Plätze und kommt auf uns zu. „Value? Value?“ Er zeigt auf unseren Renault und unser Nummernschild. “Was will der denn? Parken wir wieder falsch?“ Ich schüttle den Kopf. „Limni, Rovies!“ „Value, value?“ Ratlos stehen wir da.

Er geht an uns vorbei, winkt, wir sollen ihm folgen.

„Lass uns lieber die alte Strecke fahren!“

Der Typ steigt in einen kleinen Suzuki-Jeep. Er winkt aus dem Fenster. Wir sollen hinterherfahren. „Los. Mach schon!“ Ich gebe nach. Er fährt mit uns im Schlepptau dahin, wo wir hergekommen sind. Am Anfang der Schotterstrecke steil den Berg hoch, ich halte an. „Wer weiß, wo das hingeht? Der versteht uns doch gar nicht!“ Der Jeep hält auf halber Strecke an, dann kommt er wieder rückwärts herunter. „Ela, ela, Rovies, Limni!“ Ich nehme eine Straßenkarte von Griechenland. Es ist nichts eingezeichnet. Er beachtet die Karte gar nicht. „Value, ela!“

Er fasst meine Schulter an. „Ela, Limni!“ Er zeigt den Berg hoch. Mit unserem kleinen neuen Renault da hoch ? Und dann? „Komm, mach! Den werden wir jetzt nicht mehr los!“ Mutig fahre ich ihm nach. Erster Gang. Ich sterbe fast. Oben geht die Straße weiter, wird zu einem Weg. Das Auto ist nach fünf Minuten total eingestaubt, der Suzuki fährt bestimmt 30, wir fahren 10. Es geht durch unwegsame Landschaft, immer am Fuße des Gebirges entlang. Rechts ist das Meer, manchmal auch ein Abgrund. „Hoffentlich kommt uns keiner entgegen!“ „Welcher Idiot soll uns entgegen kommen? Das war doch eine Schnapsidee!“ „Soll ich umkehren?“ „Spinnst du?“ Zwei Lastwagen und eine Raupe versperren plötzlich den Weg. Vor uns wird gerade ein Teil des weggesprengten Berges weggeschoben und abgefahren. Wir müssen warten. Der Mann in dem Suzuki guckt aus dem Fenster zu uns nach hinten und lächelt. Ich lächle gequält zurück. „Nächstes Mal fahren wir wieder über Pefki.“ „Nächstes Mal können wir Griechisch!“ „Nächstes Mal fahren wir nur nach Sithonia, da gibt es Teerstraßen!“ Der Bagger fährt zur Seite. Weiter geht es. Steine schlagen von unten gegen unseren Wagen. „Hoffentlich geht nichts kaputt. Ich hab Schiss, hier in der Wildnis liegenzubleiben!“ Es kommen wieder Büsche, Sträucher, der Wind trägt Rauch zu uns hinüber. „Hoffentlich brennt es hier nicht!“

Als wir um die nächste Ecke biegen, sehen wir Köhler bei der Arbeit. Nach 200 Metern hält der Jeep rechts an. Etwas am Berg ist eine kleine Hütte. Ich parke hinter ihm. Der Mann fordert uns auf mitzukommen. „Lass uns weiterfahren!“ „Wohin denn? Weißt du, wo’s hier langgeht?“ Vor der Hütte stehen zwei Tische, an einem sitzen drei rußverschmierte Köhler und trinken Ouzo mit Wasser. Wir setzen uns an den anderen Tisch und unser Führer bestellt einfach Cola und Portokalada. Die drei starren uns an, der Typ erklärt auf Griechisch unsere Lage. Einer der Köhler hat eine Armbanduhr. „Limni ten minutes!“ Er lächelt und zeigt in die Richtung, aus der wir gekommen sind. „Was???“

Der freundliche Führer lacht. „Ochi, ochi! Rovies, Limni!” und zeigt in die andere Richtung. Wir reden mit Händen und Füßen und verstehen nur wenig. Einer der Köhler kann etwas Englisch. Wir erklären, wir seien Deutsche. German, germanos. Der Führer scheint enttäuscht. Wir finden heraus, unser freundlicher Führer heißt Apostolos und kommt aus Limni, muss aber wieder zurück nach Edipsos. Geschäfte, Geschäfte! Wir verstehen. Man erklärt uns, das Schlimmste sei geschafft, die Straße werde jetzt besser, noch zehn Kilometer. Apostolos will die Getränke bezahlen, die Köhler lehnen das ab. Wir verabreden uns für acht Uhr abends in Limni unter der Platane. „Platanos, endaxi!“ Er strahlt. Jetzt weiß er, wir kennen Limni. Er wendet den Jeep und rast zurück, wir staunen über das Tempo und atmen den Staub ein. Langsam fahren wir allein weiter. Die Straße wird breiter, irgendwann gibt es zwei Spuren, das Gelände wird flacher, wir fahren durch ein verfallenes Fabrikgelände und kommen nach einer Stunde in Rovies an und atmen auf. Zwischen Rovies und Limni finden wir vor Chronia den kleinen Holperweg zu unserem alten Platz am Strand. Völlig verschwitzt und erschöpft springen wir sofort ins Meer. Habe ich einen Schiss gehabt!

Abends gegen neun treffen wir unter der Platane Apostolos und Apostolos, der vor Jahren in Einbeck gearbeitet hat, gut Deutsch kann und nun Busfahrer ist. Er dolmetscht. Apostolos 1 ist früher in Belgien gewesen und hat uns für Belgier gehalten. Value, value. Wir verstehen..

Es wird ein längerer Abend. Wir werden Freunde.